BtM-Ausschuss empfiehlt BtM-Pflicht für Tilidin/Naloxon in schnell freisetzenden Darreichungsformen

Der im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) tagende Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel hat in seiner Sitzung am 5. Dezember 2011 über die betäubungsmittelrechtliche Einordnung der Wirkstoffe Tramadol und Tilidin beraten. Die vom Ausschuss beauftragte Arbeitsgruppe Tramadol/Tilidin hat in der Zeit zwischen Juni 2010 und Dezember 2011 eine systematische Auswertung der vorliegenden Daten zum Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential von Tramadol und Tilidin (in fixer Kombination mit Naloxon) vorgenommen. Hierbei wurden neben wissenschaftlichen Publikationen Daten zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen, Erkenntnisse aus Suchtkliniken, Erkenntnisse von Strafverfolgungsbehörden, Daten aus spezifischen Monitoringsystemen, Informationen zu Rezeptfälschungen und nicht zuletzt Statistiken zum Verordnungsverhalten der verschreibenden ärztlichen Personen berücksichtigt. Die Arbeitsgruppe kommt zu dem Ergebnis, dass Tramadol und die fixe Kombination aus Tilidin und Naloxon grundsätzlich missbrauchsfähig sind und auch missbraucht werden. Dennoch ist das Abhängigkeitspotential sowohl für Tramadol als auch für Tilidin/Naloxon, insbesondere im Vergleich zu stark wirksamen Opioiden, zunächst als gering zu bezeichnen. Unterschiede bezüglich des Missbrauchausmaßes und des wissenschaftlich belegbaren Abhängigkeitspotentials werden nachfolgend dargestellt. Tramadol zeigt in Tierstudien nur ein sehr geringes Abhängigkeitspotential. In Studien am Menschen wird lediglich von sehr milden Entzugserscheinungen nach Absetzen einer Dauertherapie mit Tramadol berichtet. Die Auswertung der Daten zur Sicherheit und zu gemeldeten unerwünschten Arzneimittelwirkungen gibt unter Einbeziehung der Verordnungsdaten für Tramadol ebenfalls keine Hinweise auf ein erhöhtes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential. Die Arbeitsgruppe kommt zu der Auffassung, dass die Aufnahme von Tramadol in Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz und damit die Unterstellung des Wirkstoffs unter die betäubungsmittelrechtlichen Regelungen wissenschaftlich nicht begründbar ist und eine unangemessene Maßnahme bei den Bemühungen um die Verhinderung von Missbrauch und Abhängigkeitsentwicklung darstellen würde. Wissenschaftliche Daten zum Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential von Tilidin beziehungsweise der fixen Kombination aus Tilidin und Naloxon sind nur spärlich vorhanden. Die Tatsache, dass der Anfang der 1970er Jahre festgestellte intravenöse Missbrauch von Tilidin dazu geführt hat, dass der Wirkstoff den betäubungsmittelrechtlichen Regelungen unterstellt wurde und lediglich Darreichungsformen in fixer Kombination mit dem Opioid-Antagonisten Naloxon von betäubungsmittelrechtlichen Regelungen ausgenommen wurden, lässt auf ein grundsätzlich vorhandenes Missbrauchs- und Abhängigkeitspotential schließen. Dies wurde in einer wissenschaftlichen Untersuchung, deren Ergebnisse 1986 publiziert wurden, bestätigt. Durch die Kombination des Tilidin mit Naloxon konnte der intravenöse Missbrauch unterbunden werden. Missbrauch durch die orale Einnahme von Tilidin/Naloxon blieb jedoch weiterhin möglich, da Naloxon nur bei Einnahme hoher Einzeldosen zu antagonistischen Effekten an den Opioidrezeptoren führt. Daten zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen und aus spezifischen Monitoringsystemen lassen unter Einbeziehung der Verordnungsdaten vermuten, dass vor allem für die Darreichungsform Tropfen ein erhöhtes Missbrauchspotential besteht. Diese Vermutung wird gestützt durch die Tatsache, dass sich Rezeptfälschungen weitestgehend auf Tilidin/Naloxon-Tropfen beziehen und ein ungewöhnlich hoher Anteil von Tropfen auf Privatrezepten verschrieben wird. Zur Verhinderung von Missbrauch und Abhängigkeit hält die Arbeitsgruppe die vollständige Unterstellung der schnell freisetzenden Darreichungsformen der fixen Kombination aus Tilidin und Naloxon unter die betäubungsmittelrechtlichen Regelungen für gerechtfertigt und begründbar. Eine Unterstellung der Darreichungsformen mit verzögerter Freisetzung (Retard-Präparate) ist aber aus Sicht der Arbeitsgruppe wissenschaftlich nicht begründbar. Auskünfte zum Sachverständigenausschuss werden von der Bundesopiumstelle des BfArM gegeben: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – Bundesopiumstelle, Kurt-Georg-Kiesinger-Allee 3, 53175 Bonn. Hinweis der AMK: Auf der Grundlage dieser Ausschussempfehlung wird ein Verordnungsentwurf erstellt, der das vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren durchlaufen wird. Mit dem Inkrafttreten der Änderung ist daher frühestens in einigen Monaten zu rechnen.
Quelle:
Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel nach § 1 Abs. 2 BtMG: www.bfarm.de/DE/Bundesopiumstelle/BtM/sachverst/Protokolle/Ergebnisse_38.html
PZ 49/11