Rezepturarzneimittel

In Deutschland sind über 100.000 industriell hergestellte Fertigarzneimittel zugelassen. Trotzdem kann es nicht für jeden Patienten und jede Situation das richtige Medikament geben. Oft sind Dosierung oder Darreichungsform von Fertigarzneimitteln zum Beispiel für Kinder problematisch, da sich Arzneimittelhersteller am Bedarf von Erwachsenen orientieren. Kleinkinder können noch keine Kapseln oder Tabletten schlucken, bestimmte Säfte sind wegen ihres bitteren Geschmacks oder Alkoholgehalts ungeeignet. Auch Erwachsene, die Unverträglichkeiten gegen bestimmte Inhaltsstoffe haben, können nicht immer mit einem Fertigarzneimittel versorgt werden. Und auch bei vielen Senioren müssen besondere Umstände bedacht werden. Mitunter sind es die fehlende Langzeitstabilität oder der zu geringe Bedarf, die eine industrielle Fertigung ökonomisch nicht rechtfertigen.

Um diese Lücke im Angebot zu schließen, fertigen Apotheker auf ärztliche Verschreibung hin individuelle Rezepturarzneimittel an. Sie sind speziell auf den Bedarf des einzelnen Patienten abgestimmt. Ein Großteil der Anfertigungen sind Standardrezepturen, deren Zusammensetzung und Anwendung wissenschaftlichen Normen entspricht. Hinzukommen aber auch Spezialrezepturen zur Behandlung stärkster Schmerzen oder zur Krebstherapie. Dazu zählen vor allem parenterale Lösungen, also Infusionen, die unter besonders strengen Hygienebedingungen in speziell ausgestatteten Laboren angefertigt werden müssen. Eine besondere Herausforderung sind Zytostatika, also Lösungen zur individuellen Krebstherapie: Sie sind oft nur wenige Stunden haltbar, müssen in Abhängigkeit vom Zustand des Patienten exakt dosiert werden und können erst unmittelbar vor der Anwendung hergestellt werden.

Über 13 Millionen Rezepturen stellen Apotheker jährlich für gesetzlich versicherte Patienten her

Über 13 Millionen Rezepturen in unterschiedlichsten Darreichungsformen stellen Apotheker in Deutschland jedes Jahr für gesetzlich versicherte Patienten her. Dabei wird jeder Ausgangsstoff vor seiner Verarbeitung im apothekeneigenen Labor auf seine Identität geprüft. Vor der Herstellung wird für jede Rezeptur ihre technologische Machbarkeit kontrolliert. Ebenso wird die Plausibilität der Verordnung für den konkreten Einzelfall untersucht.

Neben individuellen Rezepturarzneimitteln können Apotheken auch Defekturarzneimittel herstellen. So bezeichnet man pharmazeutische Zubereitungen, die in Mengen von bis zu 100 abgabefertigen Packungen pro Tag selbst hergestellt werden, ohne dass es dafür einer Herstellungserlaubnis oder Arzneimittelzulassung nach dem deutschen Arzneimittelgesetz bedarf.

Aber selbst wenn Rezeptur­ und Defekturarzneimittel keiner offiziellen Zulassung bedürfen, müssen sie doch „lege artis“, also nach dem Stand der pharmazeutischen Wissenschaft, hergestellt werden. Sie unterliegen strengen Regeln. Die Herstellung muss geplant und dokumentiert werden. Für den Arbeitsplatz im Laboratorium gilt ein strenges Hygienemanagement. Der Zubereitungsprozess soll nicht unterbrochen werden, um Verunreinigungen und andere Fehler zu vermeiden. Für bestimmte Arbeitsschritte gilt das Vier­Augen­Prinzip. Herstellungsanweisungen einschließlich Inprozesskontrollen und Prüfanweisungen für die Freigabe unterscheiden sich von Fall zu Fall. Angesichts der Vielzahl denkbarer Varianten brauchen Apotheken deshalb ein gutes Wissensmanagement, um Arzneimittel effizient und sicher herstellen zu können.

Die wesentlichen, das amtliche Arzneibuch ergänzenden und konkretisierenden Regeln sind daher im Apotheken­Standardwerk „Deutscher Arzneimittel-­Codex / Neues Rezeptur-­Formularium“ (DAC / NRF) zusammengefasst, auf das alle Apotheken Zugriff haben. Es geht auf eine Initiative der Apothekerschaft zu Beginn der 1970er Jahre zurück. Hinter dem Projekt stehen Laborkapazitäten mit spezialisierten Mitarbeitern sowie eine unabhängige wissenschaftliche Expertenkommission, die sich mit Fragen der Herstellung und Prüfung der Arzneimittel befasst.

Traditionell steht das DAC / NRF als regelmäßig ergänztes Loseblattwerk zur Verfügung. Seit dem Jahr 2008 nutzen aber immer mehr Apotheker das Werk als digitale Datenbank direkt über ein Webportal. Laborprogramme erleichtern die Prüfung und Dokumentation der Herstellung und greifen teilweise direkt auf das DAC / NRF zu. Das DAC / NRF ist als Fachmedium des Jahres 2018 ausgezeichnet worden. Als Hilfsmittel zur Qualitätssicherung ist es international führend. Die Online­-Plattform enthält neben dem Hauptwerk mit zahlreichen digitalen Arbeitshilfen über 600 themenspezifische Dokumente und 2.300 kommentierte Rezepturformeln zur Recherche sowie die Verbindung zur DAC / NRF-­Informationsstelle als zusätzlichen Service.