29/25 Information der Institutionen und Behörden: AMK: „Follow-up“ von Meldungen aus Apotheken zu Arzneimittelrisiken: Wie Rückfragen die Qualität der Berichte steigern können
AMK / Die AMK erreichen täglich Meldungen aus Apotheken, in denen unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) oder Qualitätsmängel berichtet werden. Diese Berichte werden von der AMK-Geschäftsstelle nach interner Vorprüfung in die eigene Pharmakovigilanz-Datenbank übernommen und hinsichtlich ihres Risikos bewertet. In einigen Fällen sendet die AMK ein sogenanntes „Follow-up“, also fallbezogene Nachfragen, an die Apotheke. Zu den Hintergründen der Notwendigkeit von Follow-ups informiert die AMK nachfolgend.
Eine fallbezogene Risikobewertung bildet die Basis einer zuverlässigen Bewertung potenzieller Risikosignale aus dem Spontanberichtswesen. Spontanberichte erlauben, im Gegensatz zum kontrollierten Kontext klinischer Studien, eine kontinuierliche Überwachung der praktischen Arzneimittelanwendung im Alltag. Die (klinische) Evidenz eines Fallberichts hängt allerdings unmittelbar von der Qualität bzw. Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben ab. Im Sinne der oben skizzierten Risikobewertung sind dazu hintergründige Informationen wichtig, um die Berichtsqualität im Sinne der Vollständigkeit und Kausalität der Risikobeschreibung zu erhöhen.
Bei UAW stützen sich die Risikobewertung und Berichtsqualität auf die Schwere der Nebenwirkung sowie auf konkrete zeitliche Zusammenhänge zwischen einer Arzneimittelexposition und Auftreten der Nebenwirkung. Auch patientenindividuelle Begleitumstände (Krankheitsbild, Komedikation oder bekannte Untersuchungsergebnisse) werden maßgeblich berücksichtigt. Die Risikobewertung kann auch der inhaltlichen Abgrenzung eines Hersteller-bedingten Qualitätsmangels von einem Anwendungsfehler dienen und vice-versa.
Bei der Berichtsqualität orientiert sich die AMK vornehmlich an international anerkannten Kriterien. In Bezug auf die Vollständigkeit hat sich im Bereich der UAW der sogenannte vigiGrade completeness score etabliert (1). Dieses Instrument beurteilt die Anzahl an klinisch relevanten Informationen: Je mehr Informationen vorliegen, desto höher ist der Score und desto mehr Informationen zur Beurteilung einer UAW liegen vor. Folglich kann ein Bericht mit einer hohen Anzahl an klinischen Informationen besser zur Beurteilung eines Nutzen-Risiko-Verhältnisses eines Arzneimittels beitragen. Der Score bewertet (in absteigender Reihenfolge der Relevanz):
- Informationen zum zeitlichen Zusammenhang der Anwendung eines verdächtigen Arzneimittels und dem Auftreten einer UAW als essenziell,
- Angaben zum Patienten (Alter und Geschlecht), zur Erkrankung/Indikation und zu den Folgen der UAW als wichtig und
- Angaben zur Dosierung des verdächtigen Arzneimittels als unterstützende Information.
Um die Vollständigkeit der aus Apotheken initial gemeldeten UAW-Berichte näherungsweise zu bestimmen, hat die AMK 1.400 übermittelte Online-UAW-Berichtsbögen aus dem Jahr 2023 in Anlehnung an vigiGrade analysiert. Die betrachteten Fallberichte weisen nahezu vollständig Informationen zu zeitlichen Zusammenhängen aus, wohingegen als wichtig und unterstützend angesehene Angaben (v. a. zu Indikation, Dosierung und Folgen der UAW) initial häufig fehlen (siehe nachfolgende Tabelle).
Zur Beurteilung der Kausalität von UAW-Meldungen liegen auch anerkannte Scores vor (2), auf die sich die AMK im Rahmen eines Follow-up bezieht. Neben den genannten zeitlichen Zusammenhängen bewerten diese, ob die aufgetretene UAW konkret auf die Einnahme des verdächtigten Arzneimittels zurückgeführt werden kann, z. B. durch den Ausschluss anderer Ursachen (Begleiterkrankungen oder weitere Arzneimittel). Dazu gehört auch die Information, ob die UAW sich nach Absetzen des verdächtigten Arzneimittels besserte (= Dechallenge) und/oder nach Wiederansetzen erneut auftrat (= Rechallenge).
Im Rahmen der Bearbeitung von Berichten zu vermuteten Qualitätsmängeln werden Meldungen mit gleichlautendem Sachverhalt sowie ggf. schon vorliegende Musterprüfungen oder Stellungnahmen des pharmazeutischen Unternehmers miteinbezogen. So können Risikosignale chargenbezogen evaluiert und sinnvolle Rückfragen zur Erhöhung der Berichtsqualität unter Bezugnahme dieser komplementierenden Erkenntnisse gestellt werden. Für die AMK sind dies insbesondere Angaben zum konkreten Handelsnamen sowie zur Arzneimittelcharge und ob die Beanstandung aus einer Fertigarzneimittelprüfung nach §12 ApBetrO resultierte oder ob Patienten die Qualität ihrer eigenen Arzneimittel(anbrüche) in der Apotheke reklamierten.
Zuletzt können Angaben aus Spontanberichten für die AMK auch schlicht missverständlich bzw. widersprüchlich erscheinen oder die Angaben sind schwer leserlich, insbesondere bei Versand mittels Fax. Daher möchte die AMK klarstellen, dass derartige Nachfragen nicht als Kritik an oder Konfrontation mit den Meldenden missinterpretiert werden dürfen.
Der AMK ist es wichtig, die Schlüsselrolle der Apotheken im deutschen Spontanberichtswesen herauszustellen. Aufgrund des niederschwelligen Zugangs zur Apotheke vor Ort und dem besonderen Vertrauensverhältnis zu Patienten sind Apothekerinnen und Apotheker sowie das gesamte pharmazeutische Personal besonders prädestiniert für die Erfassung und Meldung von (potenziellen) Arzneimittelrisiken. Die stetig ansteigenden Berichtszahlen an die AMK (N = 10.882 im Jahr 2024; 3) bestätigen das zunehmende Bewusstsein der Apothekerinnen und Apotheker. Daher werden auch Anregungen aus der Apothekerschaft an die AMK, die sich auf eine mögliche Vereinfachung des Meldeprozesses, einschließlich des Follow-ups, beziehen, sehr ernst genommen (4).
Die AMK möchte abschließend für das Verständnis eines notwendigen Follow-ups werben und bittet Apotheken darum, stets die Kontaktdaten der Patienten intern zu notieren. Auch legt die AMK Wert darauf, das Follow-up strukturiert zu gestalten, um den Aufwand für die Meldenden zu limitieren. Der AMK ist es dabei auch wichtig, dass die Meldeschwelle durch ein Follow-up nicht negativ beeinflusst wird und möchte daher betonen, dass die Beantwortung der Fragen grundsätzlich freiwillig ist.
Die AMK dankt allen Apothekerinnen und Apothekern für ihr anhaltendes Engagement bei der Meldung von Arzneimittelrisiken sowie insbesondere für die Mitarbeit bei der Beantwortung nachfolgender Follow-ups seitens der AMK. /
Tabelle: Initiale UAW-Meldungen an die AMK, Informationsgehalt in Anlehnung an vigiGrade (N = 1.400 übermittelte Online-UAW-Berichtsbögen aus dem Jahr 2023).
vigiGrade-Bewertung | Angabe | vorhanden | nicht vorhanden | ||
Anzahl | [%] | Anzahl | [%] | ||
essenziell | zeitlicher Zusammenhang (Arzneimittelanwendung und Beginn der UAW) | 1.350 | 96,4 | 50 | 3,6 |
wichtig | Geburtstag/Alter | 1.391 | 99,4 | 9 | 0,6 |
Geschlecht | 1.399 | 99,9 | 1 | 0,1 | |
Erkrankung/Indikation | 1.024 | 73,1 | 376 | 26,9 | |
Folgen der UAW | 431 | 30,8 | 969 | 69,2 | |
unterstützend | Dosierung des verdächtigen Arzneimittels | 1.090 | 77,9 | 310 | 22,1 |
Quellen
1) Bergvall T. et al.; vigiGrade. A Tool to Identify Well-Documented Individual Case Reports and Highlight Systematic Data Quality Issues. Drug Saf. 2014; 37: 65–77.
2) WHO. The use of the WHO-UMC system for standardised case causality assessment. www.who.int → Publications → Overview (Zugriff am 15. Juli 2025)
3) AMK; Die AMK in Zahlen: Das Jahr 2024. www.arzneimittelkommission.de → Zahlen und Fakten (Zugriff am 15. Juli 2025)
4) AMK; Warum weniger gemeldet wurde. Pharm. Ztg. 2023, (168) 8: 24-25.
[Pharm. Ztg. 2025 (170) 29:79]