20/15 Informationen der Institutionen und Behörden: Bedenkliche Rezepturarzneimittel Stand Mai 2015

AMK/ Das Arzneimittelgesetz verbietet es, bedenkliche Arzneimittel in den Verkehr zu bringen oder am Menschen anzuwenden (AMG Paragraf 5 Absatz 1). Die Bedenklichkeit ist gegeben, wenn der begründete Verdacht besteht, dass nach dem jeweils aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen auftreten können, die über ein vertretbares Maß hinausgehen. Die Frage nach der Bedenklichkeit stellt sich den Apotheken vor allem dann, wenn Rezepturarzneimittel verordnet werden.

Apotheker und Apothekerinnen sind einerseits verpflichtet, die Abgabe bedenklicher Rezepturarzneimittel abzulehnen, haben aber andererseits nach Paragraf 17 Absatz 4 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) ärztliche Verschreibungen in angemessener Zeit auszuführen („Kontrahierungszwang“). Die höherrangige Norm des Gesetzes (AMG) hat hier aber Vorrang vor dem Verordnungsrecht (ApBetrO).

In der Praxis treten häufig Unsicherheiten auf, denen mit der Anwendung der AMK-Empfehlungen zur Beurteilung von Rezepturarzneimitteln (siehe Kasten) begegnet werden kann. Außerdem aktualisiert die AMK seit 2001 zur Unterstützung der Apotheken periodisch eine Liste bedenklicher Stoffe/Rezepturen (siehe Tabelle). Diese Liste ist indes keine juristisch verbindliche Festlegung, denn hierfür fehlt der AMK die gesetzliche Legitimation. Darüber hinaus kann eine solche Liste nie vollständig sein, denn es ist nicht vorhersehbar, welche Stoffe zum Beispiel in der alternativen Medizin einmal rezeptiert werden.

Die Bedenklichkeit eines Rezepturarzneimittels im Einzelfall kann in der Regel nur durch eine individuelle Nutzen/Risiko-Abwägung beurteilt werden. Dabei müssen individuelle Gegebenheiten des Patienten ebenso einbezogen werden wie Indikation, Applikationsart, Dosierung, Konzentration und weitere angewandte Arzneimittel. Die individuelle Nutzen/Risiko-Abschätzung sollte von Apotheker und Arzt gemeinsam vorgenommen werden.

In die Liste der bedenklichen Stoffe/Rezepturen wurden Stoffe und pflanzliche Drogen, die in einem Rezepturarzneimittel zur Anwendung am Menschen vorgekommen sind oder vorkommen könnten, nach folgenden Kriterien aufgenommen:

  • Eine maßgebliche Zulassungsbehörde hat den Stoff oder die Zubereitung als bedenklich eingestuft.
  • Die Zulassungen entsprechender Fertigarzneimittel wurden widerrufen oder ruhen.
  • Nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse ist die Anwendung auf Grund von Risiken bedenklich beziehungsweise nicht vertretbar.


Nach Paragraf 7 der seit Juni 2012 geltenden ApBetrO muss jede Rezeptur vor der Anfertigung auf Plausibilität geprüft und das Ergebnis dokumentiert werden, damit das Therapieziel ohne nicht vertretbare Risiken für den Patienten erreicht werden kann. Genaueres hierzu ist der Leitlinie der Bundesapothekerkammer (BAK) zur Qualitätssicherung „Herstellung und Prüfung der nicht zur parenteralen Anwendung bestimmten Rezeptur- und Defekturarzneimittel" zu entnehmen. Die BAK-Leitlinie ist über die Homepage der ABDA (www.abda.de/leitlinien0.html -> Rezeptur/Defektur) abrufbar.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat diese AMK-Nachricht zustimmend zur Kenntnis genommen. Diese AMK-Nachricht ist auch auf der Homepage der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (www.akdae.de) verfügbar. Änderungen in dieser Fassung (Mai 2015):

  • In den „AMK-Empfehlungen zur Beurteilung von Rezepturarzneimitteln“ wurde der erste Punkt zur pharmazeutischen Qualität der BAK-Leitlinie „Prüfung und Lagerung der Ausgangsstoffe“ angepasst, wonach Apotheker und Arzt gemeinsam Nutzen, Risiken und pharmazeutische Qualität gegeneinander abwägen sollen.
  • Ergänzt wurden Pyrrolizidinalkaloid (PA)-haltige Drogen, bei denen ein Grenzwert der PA-Zufuhr einzuhalten ist, was den Apotheken kaum möglich ist.
  • Färberginsterkraut (Genistae tinctoriae herba) wurde neu in die Liste der bedenklichen Stoffe/Rezepturarzneimittel (Tabelle) aufgenommen.


AMK-Empfehlungen zur Beurteilung von Rezepturarzneimitteln (Stand Mai 2015)

-    Eine Grundvoraussetzung für die Anfertigung einer Rezeptur ist die pharmazeutische Qualität der Ausgangstoffe und des Endprodukts. Kann diese nicht sicher gestellt werden, darf das Arzneimittel nicht angefertigt und nicht abgegeben werden. Ist weder eine Prüfanweisung noch ein Prüfzertifikat verfügbar oder kann die ordnungsgemäße Qualität des Ausgangsstoffes entsprechend Paragraf 11 ApBetrO nicht nachgewiesen werden, müssen Apotheker und verschreibender Arzt Nutzen und Risiken unter Berücksichtigung der pharmazeutischen Qualität und der vorgesehenen Indikation gegeneinander abwägen (Ph. Eur. 7.5/2034). Ist die Nutzen/Risiko-Abwägung negativ, darf die Rezeptur nicht hergestellt werden, denn Paragraf 8 Ab-satz 1 AMG verbietet es „Arzneimittel ... herzustellen oder in den Verkehr zu bringen, die durch Abweichung von den anerkannten pharmazeutischen Regeln in ihrer Qualität nicht unerheblich gemindert sind“.

-  Liegt eine veröffentlichte Stellungnahme einer Zulassungsbehörde vor, die das fragliche                   Rezepturarzneimittel als bedenklich einstuft, darf das Arzneimittel nicht angefertigt und nicht abgegeben   werden.
-    Die Zulassungen von Fertigarzneimitteln mit einem bestimmten Wirkstoff wurden widerrufen oder ruhen auf Grund ungeklärter Risiken, sind also nicht verkehrsfähig: Das Arzneimittel darf weder als     Rezeptur- noch als Defekturarzneimittel angefertigt oder abgegeben werden.
-    Vorbehalte wegen Daten zu Risiken in der Literatur oder wegen unzureichender Daten (Stoff,                Stoffkombination, Dosierung, Konzentration, vorgesehene Indikation):

  • Rezepturen dieser Art können nur Mittel der ferneren Wahl sein. Die AMK rät von der Abgabe ohne ärztliche Verschreibung und der defekturmäßigen Herstellung dringend ab.
  • Die Apotheke soll sich beim Arzt über die Hintergründe der Verordnung informieren und ihm ihre Vorbehalte möglichst anhand der vorhandenen Literatur erläutern.
  • Apotheker und Arzt sollten anhand der Literaturdaten gemeinsam den zu erwartenden Nut-zen und die möglichen Risiken für den individuellen Patienten bewerten; Therapiealternativen sollen erwogen werden. Bewertet einer der Beteiligten (Apotheke/Arzt) das Nutzen/Risiko-Verhältnis negativ, so soll die Rezeptur nicht angefertigt werden. Die Apotheke sollte die Ergebnisse der Nutzen/Risiko-Bewertung in jedem Fall dokumentieren.

Tabelle: Stoffe/Rezepturen die zur Anwendung beim Menschen von der AMK als bedenklich eingestuft werden (Stand Mai 2015; die angegebenen Quellen sind überwiegend über www.arzneimittelkommission.de im Mitgliederbereich abrufbar). Steht ein Stoff nicht in der Liste, so ist daraus nicht generell zu schließen, dass er unkritisch in Rezepturen verarbeitet werden darf.1

Stoffe/Rezepturarzneimittel

Risiko

Quelle

Amygdalin: siehe Mandelonitril

Aristolochiasäure-haltige Drogen (alle Drogen der Gattungen Aristolochia und Asarum)

-      ausgenommen Homöopathika ab D10

kanzerogen (multiple Karzinome)

Zulassungswiderruf

Pharm. Ztg. 126 (1981), Seite 1373-1374 und 155 (2010), Seite 102

Amine, aliphatische

unvermeidliche Nitrosamin-Bildung

Pharm. Ztg. 132 (1987), Seite 2375

Arnikablüten zum Einnehmen

-      ausgenommen Homöopathika ab D4

Dyspnoe, Tachykardie und Kollaps, Gastroenteritis

z. B. in Lindequist, U. et al., Biogene Gifte, WVG Stuttgart, 3. Auflage 2010

Bärenklau

-      ausgenommen Homöopathika

stark phototoxisch (Furocumarine)

z. B. in Lindequist, U. et al., Biogene Gifte, WVG Stuttgart, 3. Auflage 2010

Barbiturate: siehe Bromide und Barbiturate

Benzol

-      ausgenommen Homöopathika ab D6

myelotoxisch, kanzerogen

Whysner, J. et al.: Genotoxicity of benzene and its metabolites. Mutat. Res. 566 (2004) 99-130

Borsäure sowie deren Ester und Salze

-      ausgenommen Mineralwässer und Puffer in Augentropfen

-      ausgenommen Homöopathika ab D4

mangelhafte Wirksamkeit, resorptive Vergiftungen

Zulassungswiderruf

Pharm. Ztg. 144 (1999), Seite 3834

Bromide und Barbiturate in Kombination

-      als Sedativum

kumulative Anreicherung von Bromiden/Barbituraten

Information des BfArM

Pharm. Ztg. 141 (1996), Seite 4839

Bufexamac

häufige Kontaktallergien

Zulassungswiderruf

Pharm. Ztg. 155 (2010), Seite 119

Calomel: siehe Quecksilber(I)-chlorid

Cäsiumsalze (in der alternativen Krebstherapie)

lebensbedrohliche Arrhythmien

WHO Drug Information 23 (2009), Seite 290

Chelidonii herba, radix, Chelidonin: siehe Schöllkraut

Chloroform

hepato-, nephrotoxisch, kanzerogen

Pharm. Ztg. 126 (1981), Seite 2616

Chrom(VI)-Verbindungen

kanzerogen

Pharm. Ztg. 144 (1999), Seite 800

Chrysanthemum vulgare: siehe Rainfarn

Crotonöl

stark hautreizend, kokarzinogen

z. B. in Aktories, K. et al. (Hrsg.); Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Urban & Fischer, München, 10. Auflage 2009,

Glaeser, S., Hecker, E.; Planta Med.57, Suppl. 2 (1991)

Diethanolamin: siehe Amine, aliphatische

Epinephrin und seine Salze

-      hochkonzentriert (> 1 ‰) zur Blutstillung im Dentalbereich

systemische kardiovaskuläre Reaktionen

Zulassungswiderruf

Bundesgesundheitsblatt 30 (1987) Seite 154

Färberginsterkraut

Toxische Chinolizidinalkaloide: Atemlähmung, Kreislaufversagen

Blaschek, W. et al. (Hrsg.); Hagers Enzyklopädie Band 7, Seite 897 ff., WVG Stuttgart, 6. Auflage 2007

Formaldehyd

-      in Gynäkologika und in Konzentrationen über 0,2 %, ausgenommen zahnärztliche Arzneimittel

schwere allergische Reaktionen, Kontaktekzeme, Haut- und Schleimhautschäden, kanzerogen

Pharm. Ztg. 131 (1986), Seite 290

Furfurol

kanzerogen

Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 3088

Genistae tinctoriae herba: siehe Färberginsterkraut

Germanium-Verbindungen

-      ausgenommen Homöopathika ab D4

nephrotoxisch, myotoxisch, neurotoxisch

Pharm. Ztg. 144 (1999), Seite 3495

Heracleum-Arten: siehe Bärenklau

Hydrargyrum chloratum: siehe Quecksilber(I)-chlorid

Hydrargyrum oxydatum: siehe Quecksilber(II)-oxid

Hydrazin

Krampfgift, kanzerogen, neurotoxisch, hepatotoxisch pneumotoxisch

Hainer, M.I. et al.: Fatal hepatorenal failure associated with hydrazine sulfate. Ann. Intern. Med. 133 (2000) 877-880

Immergrünkraut

-      ausgenommen Homöopathika ab D2

Verdacht auf Blutbildschäden bei nicht belegter Wirksamkeit

Zulassungswiderruf

Pharm. Ztg. 132 (1987), Seite 1826

Jaborandiblätter

-      ausgenommen Homöopathika ab D3

nicht steuerbare parasympathomimetische Wirkung durch Pilocarpin (Vergiftungen)

z. B. in Lindequist, U. et al., Biogene Gifte, WVG Stuttgart, 3. Auflage 2010

Juniperus sabinae: siehe Sadebaumspitzen

Kava-Kava und Kavain

-      ausgenommen Homöopathika ab D4

hepatotoxisch

Zulassungswiderruf, rechtswirksam aufgehoben

Pharm. Ztg. 153 (2008), Seite 118

Krappwurzel

-      ausgenommen Homöopathika

kanzerogen

Zulassungswiderruf

Pharm. Ztg. 138 (1993), Seite 834

Laetrile: siehe Mandelonitril

Mandelonitril und Mandelonitril-Glykoside (auch Bittermandelwasser DAB 6)

Risiko von Cyanid-Intoxikationen bei mangelnder Wirksamkeit

Pharm. Ztg. 123 (1978) Seite 1537 und Bulletin Arzneimittelsicherheit 3 (2014) 7-13

Naphthalin

-      ausgenommen Homöopathika ab D4

hämolytische Anämie, Methämoglobinbildung, tödliche Vergiftungen bei Kindern durch Inhalation und topische Anwendung

NTP: Naphthalene. Rep. Carcinog. 12 (2011) 276-278

2-Naphthol (auch äußerlich)

nephrotoxisch

Orjuela, MA. et al.; Cancer Epidemiol. Biomarkers Prev. 21, 7 (2012), 1191-1202

Petroleum

-      zum Einnehmen, ausgenommen Homöopathika ab D4

narkotische Wirkung, Reizung von Haut und Schleimhaut

Pharm. Ztg. 147 (2002), Seite 4702

Phenacetin

-      als Wirkstoff

nephrotoxisch

Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 1882

Phenol

-      zur Anwendung auf Haut und Mundschleimhaut, ausgenommen Spezialanwendungen, bei denen Phenol jeweils nur einmal bzw. in geringer Menge angewandt wird (Sklerosierung, Peeling, Nagelextraktion)

-      ausgenommen Homöopathika

Methämoglobinbildung, Krampfgift, Reizung von Haut und Schleimhäuten

Negativmonographie

Pharm. Ztg. 143 (1997), Seiten 4103 und 4386

Pilocarpus: siehe Jaborandiblätter

Piper methysticum: siehe Kava-Kava

Pyrrolizidinalkaloid-haltige Drogen (Alkanna, Anchusa, Borago, Brachyglottis, Cineraria, Cynoglossi herba, Erechthites, Eupatorium außer E. perfoliatum, Heliotropium, Lithospermum, Petasitidis folium, Senecionis herba, Tussilago farfara außer Blättern)

hepatotoxisch, kanzerogen

Zulassungswiderruf

Pharm. Ztg. 137 (1992), Seite 1964 und 2470

Pyrrolizidinalkaloid-haltige Drogen

-      wenn nicht sicher gestellt ist dass die Grenzwerte für Pyrrolizidinalkaloide mit 1,2-ungesättigtem Necingerüst eingehalten werden

  • Farfarae folium:

1 µg/Tagesdosis (innerlich)

  • Symphyti herba/folium, radix: 100 µg/Tagesdosis (nur äußerlich)
  • Petasitidis rhizoma:

1 µg/Tagesdosis (innerlich)

hepatotoxisch, kanzerogen

Stufenplanmaßnahme Pharm. Ztg. 146 (2001), Seite 2390

Quecksilber(I)-chlorid

-      ausgenommen Homöopathika ab D4

mutagen, teratogen, nephrotoxisch, neurotoxisch

Negativmonographie Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 4558

Quecksilber(II)-oxid

-      ausgenommen Homöopathika ab D4

mutagen, teratogen, nephrotoxisch, neurotoxisch

Negativmonographie Pharm. Ztg. 142 (1997), Seite 4558

Rainfarnkraut, Rainfarnblüten, Rainfarnöl

-      zum Einnehmen, ausgenommen Homöopathika

stark neurotoxisch durch Thujon, nicht belegte Wirksamkeit

Negativmonographie siehe Pharm. Ztg. 139 (1994), Seite 154

Rubia tinctorum radix: siehe Krappwurzel

Sadebaumspitzen

-      ausgenommen zur externen Anwendung, ausgenommen Homöopathika ab D4

schwere Vergiftungen nach Einnahme als Abortivum

z. B. in Lindequist, U. et al., Biogene Gifte, WVG Stuttgart, 3. Auflage 2010

Schlankheitsrezepturen

-      mit mehreren stark wirksamen Bestandteilen wie Appetitzügler, Diuretika, Schilddrüsenhormone oder Antidiabetika

unkalkulierbare Effekte, Todesfälle durch derartige Rezepturen

Pharm. Ztg. 140 (1995), Seite 3032

Schöllkraut

-      wenn eine Tageshöchstdosis von 2,5 mg Gesamtalkaloiden, berechnet als Chelidonin, nicht gewährleistet ist

hepatotoxisch

Zulassungswiderruf

Pharm. Ztg. Nr. 16 (2008), Seite 133-134

Triethanolamin: siehe Amine, aliphatische

Vinca minoris herba: siehe Immergrünkraut

Vitamin B17: siehe Mandelonitril


1Spagyrische Zubereitungen sind generell nicht als bedenklich anzusehen, da die Drogen bei der Herstellung nach den Vorschriften 25 und 26 des HAB verascht werden.

Korrektur (Juni 2015): Unter Pyrrolizidinalkaloid-haltige Drogen wurde der Grenzwert für Pyrrolizidinalkaloide in Symphyti herba/folium, radix auf 100 µg/Tag korrigiert.